G. Grap: Differenzen in der Neutralität

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Titel
Differenzen in der Neutralität. Der Volksbund für die Unabhängigkeit der Schweiz (1921–1934)


Autor(en)
Grap, Gilbert
Erschienen
Zürich 2011: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
157 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Thomas Metzger, Departement für Historische Wissenschaften, Universität Freiburg (CH)

Als sich der «Volksbund für die Unabhängigkeit der Schweiz» (VUS) 1921 konstituierte, war dies eine direkte Reaktion auf den ein Jahr zuvor durch Volk und Stände beschlossenen Völkerbundsbeitritt der Schweiz. Die kleine, jedoch einflussreiche Vereinigung, die einen elitären Kreis aus Akademikern, hohen Militärs, Politikern und Intellektuellen umfasste, versuchte durch Lobbyarbeit, publizistische Tätigkeit und aktive politische Partizipation Einfluss auf die schweizerische Aussenpolitik zu nehmen. Ihr politischer Kampf für die Abkehr von dem mit dem Völkerbundsbeitritt eingeschlagenen Weg der differentiellen Neutralität war geprägt durch die nationalkonservativen und teils reaktionären Überzeugungen ihrer Mitglieder.

Die politische Betätigung, die Vereinsideologie sowie vereinsinterne Spannungen angesichts des aufkommenden Frontismus stehen im Zentrum der Lizentiatsarbeit von Gilbert Grap. Die Studie ist auf den Zeitraum 1921–1934 beschränkt. Die tragende Rolle des VUS bei der «Eingabe der Zweihundert» Ende 1940 sowie die von schwindender Bedeutung gekennzeichneten Nachkriegsjahre sind nicht Teil der Studie. Diese und andere Themenkomplexe beabsichtigte Gilbert Grap im Rahmen einer Dissertation in Angriff zu nehmen, ein Vorhaben, das allerdings durch den überraschenden Tod des Autors auf tragische Weise verhindert wurde. Im wertvollen Nachwort beleuchtet Jakob Tanner deshalb neben einer kurzen Charakterisierung und Verortung des isolationistischen VUS einzelne Stationen der Vereinigung zwischen 1934 und seiner Auflösung Ende der 1950er Jahre.

Anhand kontextueller Kapitel charakterisiert der Autor den ideologischen und gesellschaftlichen Nährboden, auf dem das reaktionäre Gedankengut des VUS gedieh. In Anlehnung an Konzepte von Hans Ulrich Jost und Ruedi Brassel-Moser betont Gilbert Grap vor allem das zunehmende Krisenempfinden von Teilen der Bevölkerung gegenüber der Moderne und die Herausbildung einer «reaktionären Avantgarde». In intellektuellen Milieus verdichtete sich die Kritik an «Parlamentarismus», Demokratie und liberaler Gesellschaftsordnung zu Staats- und Gesellschaftsvorstellungen, die ideologisch eine Basis für die rechtsgerichteten Erneuerungsphantasien der 1930er Jahre legten.

Im Hauptteil nimmt Gilbert Grap die Analyse der politischen Aktivitäten des VUS sowie seiner organisatorischen und ideologischen Struktur in Angriff. Als Quellenbasis dienen ihm in erster Linie Bestände aus dem Archiv für Zeitgeschichte. Darüber hinaus wurden das interne Mitteilungsorgan des VUS sowie die «Schweizerischen Monatshefte für Politik und Kultur» (ab 1931 «Schweizer Monatshefte») in die Analyse miteinbezogen. Letztere waren zwar nicht offizielles Publikationsorgan des VUS, vertraten aber politisch dieselben Standpunkte und wiesen enge personelle Verflechtungen mit dem «Volksbund» auf. Gilbert Grap legt den Fokus auf das Wirken des VUS als politische Pressure-Group und Lobbyorganisation. Blieb ihr direkter Einfluss auf Parlament und Regierung gering, vermochte die Vereinigung während des untersuchten Zeitraums über die direktdemokratischen Instrumente des Referendums und der Volksinitiative erheblichen Einfluss auf die nationale Aussen- und Innenpolitik zu gewinnen. Ein erster Erfolg stellte 1923 das Referendum gegen das Zonenabkommen mit Frankreich dar. Ein zweiter folgte 1928 mit der Lancierung einer Volksinitiative für das Verbot der Verleihung ausländischer Orden an Schweizer – eine nicht zuletzt durch die Frankophobie der Vereinigung motivierte Spitze gegen die Westschweiz. Der VUS zog sein Initiativbegehren schliesslich zugunsten eines Gegenvorschlags, der später vom Volk angenommen wurde, zurück. Anhand der Ordensverbotsinitiative vermag Gilbert Grap gut aufzuzeigen, unter welchen Vorzeichen der sich als aussenpolitische Vereinigung begreifende VUS in innenpolitische Belange einschaltete. Mit Blick auf die politische Betätigung bilanziert deshalb der Autor, dass für den «Volksbund» in den Jahren 1921–1925 die «Verteidigung der Schweiz» und 1925–1931 die «Verteidigung des Schweizerischen» im Zentrum gestanden hätten (S. 131).

Das Buch beleuchtet weiter die Ideologie des VUS und dessen Beziehung zu den frontistischen Bewegungen in der ersten Hälfte der 1930er Jahre. Gerade weil diese Abschnitte einen besonderen Mehrwert für die Forschung zur Zwischenkriegszeit bedeuten, wäre eine stärkere Gewichtung dieser den Hauptteil abschliessenden Kapitel wünschenswert gewesen. So wäre beispielsweise eine eingehendere Analyse der Feindbildkonstruktionen und der personellen Netzwerke spannend gewesen. Es ist aber davon auszugehen, dass solche Fragestellungen und gerade die Beziehung zum Frontismus in der vom Autor angestrebten Dissertation stärker zum Tragen gekommen wären. Die Ideenwelt des VUS war, und dies zeigt sich in den Resultaten der Studie deutlich, von einer starken Germanophilie geprägt. Für ihn war ein starkes Deutschland der Garant für die Unabhängigkeit der Schweiz. Allerdings war die Germanophilie der älteren Generation im Volksbund anders motiviert als jene der jüngeren. Idealisierte die Generation eines Theophil Sprecher von Bernegg das preussisch und autoritär geprägte Deutsche Kaiserreich, führte die Germanophilie der «Generation der Söhne» (S. 135) in Richtung Frontismus und zu Sympathien gegenüber dem Nationalsozialismus. Gerade die Nähe jüngerer Mitglieder zum Frontismus führte zu internen Spannungen, die schliesslich zur Ablösung sowohl nationalliberaler als auch frontistischer Mitglieder vom VUS führten. So brach der VUS 1934 mit Hans Oehler, da dieser als Redaktor die «Monatshefte» dem Frontismus geöffnet hatte und zu einem der wichtigsten Ideologen der rechtsextremen Erneuerungsbewegungen geworden war.

Das lesenswerte Buch von Gilbert Grap ist gut geschrieben und schliesst eine Lücke in der Forschung zur Geschichte der Schweiz in der Zwischenkriegszeit – ein Zeitraum, für den noch viel Forschungsarbeit zu leisten wäre. Seine Analyse des politischen Aktivismus und der ideologischen und organisatorischen Struktur des am äusseren rechten Rand politisierenden VUS leistet insbesondere einen wertvollen Beitrag zur Erforschung rechtsintellektueller Netzwerke wie auch zur Politik- und Neutralitätsgeschichte der Schweiz.

Zitierweise:
Thomas Metzger: Rezension zu: Gilbert Grap: Differenzen in der Neutralität. Der Volksbund für die Unabhängigkeit der Schweiz (1921–1934). Zürich, Chronos Verlag, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 62 Nr. 2, 2012, S. 356-358

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 62 Nr. 2, 2012, S. 356-358

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